Holzspalten hält jung!

Oder: Ein Tag eines Sommereinsatzes in Moldawien

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Holzspalten hält jung!

Schleichend zwischen den schlafenden Mitstreitern zum Eingang, schlüpfe ich in die Sandalen hinein und geniesse die frische Luft des überwachsenen Gartens. In der hintersten Ecke des uns zur Verfügung gestellten Hauses steht das mit Pappkarton und Spinnennetzen verzierte Plumpsklo.Zum Glück hat’s noch etwas Wasser im Plastikkübel und ich kann mich vor dem heutigen Einsatz etwas frisch machen. Bis alle andere wach sind, hole ich einige Eimer voll Wasser vom Ziehbrunnen, um den 100-liter Tank oberhalb der provisorischen, durch Kunststofffolien geschützten Dusche aufzufüllen. Am Abend werden wir darüber froh sein. Vielleicht wird das Wasser inzwischen noch etwas von der Sonne erwärmt.

In drei Minuten erreiche ich das Gemeindezentrum, wo die fleissigen Babuschkas mit ihren jungen Helferinnen die Tische fürs Morgenessen schon reichlich gedeckt haben und jetzt den Buchweizenbrei kochen. Bald treffen die Mädels ein, die Schuhe unter dem Arm, da sie knöcheltief durch den Schlamm waten mussten. Miteinander geniessen wir die Tischgemeinschaft und das Vorbereitungsgespräch des heutigen Tageseinsatzes.

Zwei Teams werden alte, gehbehinderte Frauen besuchen, um die im Vorfeld gelieferten Holzstämme zu zersägen und zerkleinern, damit sie im Winter nicht ganz frieren. Wie froh sind wir um den Ex-Panzerfahrer Constantin, der sich mit der Bedienung der Motorsäge bestens auskennt. Stundenlang sind drei von uns – die Frauen üben sich auch beim Axtschwingen – am Spalten, während andere das Holz verstauen oder Eimer- um Eimer voll mit Wasser vom Dorfbrunnen holen, um die grossen Plastikbehälter zu füllen. Die alte, am Stock gehende Natasha kann das nicht mehr alleine. Ihre drei Söhne sind alle umgebracht worden oder verschwunden.

Als sie im Haus den Fussboden nass aufnehmen will, erschreckt eine Teammitgliederin der erbärmliche Anblick eines halbnackten, bewegungslosen alten Mannes, der auf schmutzigen Decken in einer dunklen Ecke liegt. Unsere russischsprachige Begleiterin findet heraus, dass dies der beinamputierte Ehemann Gheorghi ist, der schmerzleidend und ohne medizinische Hilfe seine letzten Lebensmonate erduldet. Wie können wir ihm ausser durch Gebet helfen? Morgen werden wir den erwünschten Sack Kartoffeln und weitere Lebensmittel vorbeibringen. Die Frauen werden seine Bettwäsche erneuern, während wir mit dem Holzspalten weitermachen.

Die Holz-, Wasser, Putzequippe bei Natasha & Gheorghi
Die Holz-, Wasser, Putzequippe bei Natasha & Gheorghi

Nach dem feinen aber für uns etwas ungewöhnlichen Mittagessen profitieren wir von einer kurzen Pause. Aus dem Nichts und voller Erwartung erscheinen plötzlich ca. 60 3- bis 15-jährige Kinder. Ein junges Team aus einer Baptistengemeinde der naheliegenden Stadt gestaltet für sie im Gemeindesaal ein abwechslungsreiches Programm aus fröhlichen Liedern, einem Theaterstück und einer biblischen Geschichte.

In dieser Zeit werden die mit Brot und Kuchen gestreckten Resten unserer Mittagssuppe auf behelfsmässig aufgestellten langen Holztischen hinter dem Haus ausgelegt. Die z.T. aus ganz armen Familienverhältnissen stammenden Kinder stürzen sich darauf – zu zweit oder dritt um einen Teller.

Dann sind wir wieder gefragt. Leider ist die Startleine des Dieselgenerators, der zum Aufblasen der Hüpfburg benötigt wird, gerissen. Trotz einfallsreichen Versuchen unseres Mechatronikers gelingt die Reparatur nicht. (Constantin schafft es dann am folgenden Tag.) So holen wir das farbenfrohe Fallschirmtuch hervor, während andere am naheliegenden Sportplatz ein Volleyballnetz aufspannen oder mit den Kindern Fussball, Kubb, Boccia, usw. spielen. Im Esssaal werden die freundlicherweise gespendeten Chrälleli ausgepackt und die Interessierten angeleitet, Hals- oder Armbandketteli zu basteln. Andere lassen sich fantasievolle Figuren ins Gesicht malen oder zeichnen ihre eigenen Bilder.

Als ich den rosaroten Schmettling der ca. 5-jährigen Andrea bewundere, umarmt sie mich plötzlich ganz fest und ich nehme sie in die Arme. Für den Rest des Tages fragen mich einige, warum ich Glitzer im Gesicht habe! Die Beziehung ist leider von kurzer Dauer; am nächsten Tag verstösst sie mich und verliebt sich in den Mechatroniker. Viele dieser Kinder sind sehr anhänglich, da sie oft ohne Väter aufwachsen; diese sind entweder im Ausland, um Geld zu verdienen oder haben die Familie ganz verlassen. Während dieser Woche lernen wir die Kinder besser kennen. Einige werden von unseren Teammitgliedern als Patenkinder ‘adoptiert’ und in Zukunft mit einem monatlichen Betrag unterstützt. Da wir die Umstände gesehen und die Betreuer kennengelernt haben, wissen wir, dass die Hilfe ankommt.

Fröhliche Kinder beim Wochenabschluss
Fröhliche Kinder beim Wochenabschluss

Am Samstag wird uns Abschied nehmen schwerfallen. Jedes Kind wird aber ein Päckli Schoggieier bekommen und einen grossen von myball.ch gespendeten Spielball, auf den wir mit wasserfestem Stift unsere Unterschrift hinterlassen dürfen. Sogar der lokale Polizist wünscht sich einen Ball!

Nach dem Abendessen besuche ich mit einigen Teammitgliedern und einer Übersetzerin eine arme 8½-köpfige Patchworkfamilie, bestehend aus vier Generationen. Wir beten für sie und überreichen einen Sack voll Grundnahrungsmittel und Turnschuhe für die Kinder. Die kleine, vom inzwischen verschwundenen Vater geschlagene Marina, die so extrem menschenscheu wirkt, wächst mir besonders am Herzen.

Endlich kehren wir voll verschwitzt, innerlich betroffen und müde zu unserem Unterschlupf zurück und geniessen unter dem Sternenhimmel die lauwarme Dusche. Morgen geht’s weiter…

Das Team, bei dem ich teilnehmen durfte, bestand aus 13 Jugendlichen (Durchschnittsalter 18) aus dem Raum Bremgarten und fünf Ü28-Fahrern/BegleiterInnen. Die Reise mit 2 Kleinbussen über Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien dauerte jeweils ca. 32 Stunden. Der ganze zweiwöchige, von jedem Teammitglied selber finanzierte Einsatz verlief – Gott sei Dank – ohne nennenswerte Probleme oder Zwischenfälle. Wir würden es nochmals machen.

 

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