Jesus – eine Weltgeschichte IV

Das Licht geht auf

Gott gibt sich zu erkennen. Er zeigt nicht nur, dass es ihn gibt, sondern wer er ist. Gott kommt zu den Menschen.

  1. Galiläa: Mitten drin und aussen vor

Für die Sadduzäer gibt es nur das Hier und Jetzt.

Die «Bildreden des Henoch» zeigen: «Dieser Menschensohn», so erklärt der Engel, «reisst die Könige und Machthaber von ihren Lagern und die Starken von ihren Thronen. Er löst die Zügel der Starken und zermalmt die Zähne der Sünder. Er verstösst die Könige aus ihren Reichen, weil sie Gott nicht erheben noch preisen noch dankbar anerkennen, wer ihnen die Königswürde verliehen hat. Er stösst das Angesicht des Starken nieder und erfüllt sie mit Scham.» Rettung soll der Menschensohn hingegen den Gerechten und Auserwählten bringen: «Und Gott wird über ihnen wohnen. Und mit jenem Menschensohn werden sie essen und sich niederlegen und aufstehen in alle Ewigkeit.» Die Messias-Erwartung war in Galiläa höchst aktuell, als Jesus auf die Welt kam.

  1. Gabri-El: Ein Gottesbote kündigt den Endkampf an

Der Koran hat mehr zu sagen über Maria als das Neue Testament.

Engel sind ein jüdisches Unikat.

Gabriel: «Das Kind soll Jesus heissen… Er wird mächtig sein, und man wird ihn Sohn des Höchsten nennen. Gott, der Herr, wird ihm die Königsherrschaft seines Stammvaters David übergeben, und er wird die Nachkommen von Jakob für immer regieren. Seine Herrschaft wird niemals enden.»

  1. Jungfrau Maria: Fromme Fiktion oder harter Fakt?

Gott ist der Urheber aller physikalischen Gesetze und kann sie nach Belieben durchbrechen.

Jesus ist ganz Gott, ganz Mensch.

Maria ahnt die soziale Dimension der Messias-Ankunft. Er solidarisiert sich mit den Sklaven und Unterdrückten gegen die Leuteschinder, er stellt die Weltordnung auf den Kopf.

Echte Gottes-Begegnungen führen, bevor es auf den Gipfel geht, in die Täler.

  1. Josef: Bleiben oder gehen?

Josef will nicht die für ihn bequemste Lösung. Er will das Richtige tun – auch für Maria.

  1. Jerusalem: In der Höhle des sterbenden Löwen
  2. Bethlehem: Schwere Geburt im Haus des Brotes

Vermutlich fand die Weihnacht nicht in der kalten Winterzeit statt, sondern im Frühling, als es bereits wärmer war.

  1. Die Weisen: Gold, Weihrauch und Kinderleichen

Die Menschen gingen vom Kosmos als einem Gesamtkonstrukt aus, in dem alles mit allem zusammenhing.

Die letzten Tage des Tyrannen sind so randvoll mit Scheusslichkeiten, dass ein paar tote Dorfkinder dabei nicht der Rede wert sind. «Er stösst die Gewaltigen vom Thron», hatte Maria gejubelt. Mit Herodes fiel der erste.

  1. Ägypten: Flucht, Exil, Rückkehr 

In Alexandria waren die ersten Synagogen entstanden: als Orte, an denen Juden auch weit entfernt vom Tempel Gott anbeten und gemeinsam aus den Heiligen Schriften lernen konnten. Diese Synagogen-Versammlungen waren die Vorläufer unserer modernen Gottesdienste und Bibelstunden.

Die mosaischen Schriften seien noch einflussreicher gewesen als die aller griechischen Philosophen. Das hätten auch die griechischen Historiker gewusst, aber aus Neid nichts darüber geschrieben.

  1. Die Erben des Herodes: Kampf um die jüdische Krone

Viele Juden sind um die Zeitenwende der festen Überzeugung, dass die Weltgeschichte auf die Zielgerade geht. In den Römern, die ihren Machtanspruch immer brutaler geltend machen, sehen sie das im Buch Daniel prophezeite Vierte Reich. Jetzt können der Messias und die Errichtung des «Reichs Gottes» nicht mehr weit sein.

  1. Nazareth: Eine fast normale Kindheit

Die hartnäckigsten Gegner von Jesus und seinen Nachfolgern sollten nicht die Herodianer sein, nicht die römischen Julier-Claudier, sondern die insgesamt sieben Hohepriester der Hannas-Sippe.

Jesus weiss damals (als 12-Jähriger) ganz offensichtlich bereits von seiner übernatürlichen Herkunft. Gott, der Vater, und seine Eltern haben ihn über die Hintergründe seiner Geburt informiert.

Es fehlt in den Evangelistenberichten das, was sich gewöhnliche Leser von der Lebensbeschreibung des «Sohnes Gottes erwarten»: Geschichten über kindliche Wundertaten von Jesus, um dadurch den Anspruch auf seine übernatürliche Existenz zu untermauern. Erst am Ende des zweiten Jahrhunderts erscheint eine Schrift, in der von solchen Wundern berichtet wird. Angeblich habe Jesus Spatzen aus Lehm geformt und sie dann zum Leben erweckt. Ausserdem habe er einen Jungen, der ihn beim Spielen störte, wie einen Baum verdorren lassen. Solche Showeinlagen ständen in krassem Gegensatz zum Bemühen von Jesus, seine besondere Identität so lange wie möglich geheim zu halten und aus seiner Gottessohnschaft keine persönlichen Vorteile abzuleiten.

Abgesehen von seinem wachen Geist und seiner moralischen Tadellosigkeit ist Jesus ein ganz normaler Junge. Er kommt ohne herkulische Wunderkräfte zur Welt, hat in seinem Gehirn keine eingebaute Festplatte, auf der das gesammelte Weltwissen abrufbar gespeichert ist. Jesus geniesst keine versteckten Vorteile ausser seiner festen inneren Beziehung zu Gott, dem Vater. Ihm sind destruktive Emotionen fremd. Er grollt nicht, neidet nicht, ja er schämt sich nicht einmal. Wofür auch? Er sucht nicht seinen Platz in der Welt, weil er ihn schon gefunden hat. Er weiss, dass der Erzählfaden der hebräischen Bibel auf ihn zuläuft. Die Last der Verantwortung, die sich damit verbindet, ist ihm ebenso bewusst. Vermutlich drückt sie ihn auch. Jesus ist fehlerfrei, aber nicht angst- und schmerzfrei. Man kann davon ausgehen, dass er seine Sorgen im Gebet zur Sprache bringt oder im Rezitieren von Psalmen. Aber er belastet nicht andere damit, leitet aus seiner besonderen Berufung keine Sonderbehandlung ab.

Für Jacob Burckhardt liegt «seelische Grösse» im Verzichten-Können auf Vorteile zugunsten des Sittlichen, in der freiwilligen Beschränkung nicht bloss aus Klugheit, sondern aus innerer Güte, während die politische Grösse egoistisch sein muss und alle Vorteile ausbeuten will. Alles kann nur der, der auch auf alles verzichten kann.

  1. Jesus als junger Erwachsener: Wartejahre

Man kann also davon ausgehen, dass Jesus im Teenager-Alter die Tora auswendig kannte – und die wichtigsten Lehrmeinungen der massgeblichen Tora-Experten obendrein.

Als frommer Jude meidet auch Jesus Tiberias. Keiner der Evangelisten berichtet etwas von einem Aufenthalt.

Jesus half seiner Mutter dabei, das kleine Grundstück am Haus zu bepflanzen, und lernte, unter welchen Umständen die Saat aufging. Er baute mit an Wohnungen, die später bei starken Regenfällen einstürzten, weil der Sandboden darunter nachgab. Er war umgeben von Arbeitern, die bei grösster Hitze am Strassenrand hockten und auf Arbeitsaufträge warteten, oft vergeblich. Er kannte das frustrierende Gefühl, ohne Geld und Brot nach Hause zu kommen und dort auf hungrige Familienmitglieder zu treffen. Er wusste um die Wut der kleinen Leute auf die Grossgrundbesitzer, die für hohe Zinsen Saatgut verkauften, ihren Schuldnern bei Missernten die kleinen Landparzellen wegnahmen und anschliessend für einen hohen Preis zurück verpachteten. Er sah, wie die Scheunen der reichen Bauern immer grösser wurden und die Brotkörbe der landlosen Galiläer immer leerer. Er erlebte, wie Steuereintreiber den Bauern so viel von der Ernte wegnahmen, dass der Rest kaum zum Überleben reichte. Er hörte von Orgien, die Herodes zelebrierte, und von den Protzhochzeiten, die in Jerusalem von den Hohepriestern gefeiert wurden. Und er feierte mit bei Hochzeiten in der Nachbarschaft, bei denen die Vorbereitungen oft monatelang dauerten und die ein willkommenes Ventil für die aufgestaute Sehnsucht nach stressfreier Freude wären.

Jesus ging auch regelmässig in die Synagoge, hörte zu, wie die Bibeltexte auf Hebräisch rezitiert wurden, dann auf Aramäisch kommentiert wurden. Dabei ging es immer wieder um die Hoffnung auf einen Messias.

Dem jungen Jesus fiel auf, dass die Predigten der überwiegend pharisäisch eingestellten Rabbis oft nicht mit ihrem Leben übereinstimmten.

«Das Mose-Testament» hat u.a. eine tröstende Botschaft: Gott wird bald seinen Messias senden, die Welt richten und ein neues Gottesreich errichten. «Der höchste Gott, der einzig Ewige, steht auf und tritt in die Öffentlichkeit, um die Heiden zu bestrafen und alle ihre Götzenbilder zu vernichten. Dann wirst du glücklich sein, mein Israel, und in die Höhe steigen zum Kampf mit dem Adler («Aquila» = Rom).»

  1. Johannes: Die Stimme in der Wüste ruft

Wahrscheinlich schloss Johannes einer essenischen Kommune an.

Wenn Johannes genau am Jordanufer seine Predigertätigkeit begann, signalisierte er damit, dass es ein neues Gelobtes Land gab, das künftig in Besitz zu nehmen war. In seinen Predigten liess Johannes keinen Zweifel daran, dass dieses neue Gelobte Land eher in der Seele des Menschen lokalisiert war als innerhalb von Landesgrenzen. Seine Verkündigung zielte nicht primär auf die Veränderung der politischen Verhältnisse, sondern auf die Veränderung des Charakters.

Josephus bezeichnet ihn als einen edlen Mann, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, indem er sie ermahnte, Gerechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben, und so zur Taufe zu kommen.

Johannes’ Botschaft lässt sich auch in einem Wort zusammenfassen: «Metanoia». Die Johannes-Taufe war ein Akt der seelischen Hygiene.

Zöllner und Krieger dürften ihre Schwerter behalten, ihre Zollstationen führen, nur fair sollten sie sich verhalten.

Johannes war das Scharnier zwischen dem unter Mose eingesetzten Bund zwischen Gott und seinem Volk und dem neuen Beziehungsangebot, das Gott in Jesus der ganzen Menschheit macht. Johannes ist noch nicht lange am Jordan, als seine Mission bereits erfüllt ist. Denn Jesus taucht bei ihm auf. «JHWH rettet» beginnt sein Werk.

Fragen zur Diskussion

1. Offenbart sich Gott auch durch z.T. heidnische Autoren und kosmische Ereignisse?

2. Stimmt es, dass die Gleichnisse Jesu auf seinen Alltagsbeobachtungen beruhen?

3. Waren die Juden um die Zeitwende wirklich davon überzeugt, die Weltgeschichte stehe kurz vor ihrem Ziel?

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