Jesus – eine Weltgeschichte III

Welt am Nullpunkt

  1. Pax Romana: Die beste und die schlimmste Zeit

Rom ist eine Kampfmaschinerie, aber auch ein Labor. Viele der römischen Erfindungen werden die schnelle Ausbreitung des Christentums begünstigen. Die Römer erfinden das Fensterglas und den Beton, die Kuppelbau- techniken und neuartige Brückenbaumethoden. Sie befestigen ein Strassennetz, das fast hunderttausend Kilometer lang ist, und sie organisieren einen Schiffsverkehr, der Gütertransporte via Ägypten bis nach Indien ermöglicht. Über hundert Schiffe verkehren pro Jahr zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean.

Cäsar und sein Grossneffe Augustus sind so etwas wie Gegenentwürfe zu Jesus … «Ich kam, sah und siegte» steht gegen «Ich kam, sah und liebte», der Lorbeerkranz gegen die Dornenkrone, der brutale Wille zur Macht gegen den sanftmütigen Willen zur Ohnmacht.

Auf der einen Seite stehen Männer, die wie Gott sein wollen, auf der anderen Seite steht der einzige Gott, der ein Mensch wird.

  1. Augustus: Glanz und Fluch des Hauses Cäsar

Augustus: Der mächtigste Mann, der je gelebt hat.

  1. Vergil und Co.: Die Evangelisten des Imperators

In seinen «Hirtengesängen» (ca. 40 BC) beschreibt Vergil eine Welt, die vom Kämpfen müde ist. Doch ein neuer Anfang steht unmittelbar bevor. «Schon kehrt wieder das Zeitalter der Jungfrau. Schon wird neu ein Sprössling entsandt aus himmlischen Höhen.» Mit diesem jungfräulich geborenen Retter solle «das Geschlecht von Eisen vergehen und ein Zeitalter von Gold beginnen». Dieser Knabe solle «die Welt lenken mit den Kräften des Vaters», er solle dafür sorgen, dass «die Schlange stirbt».

  1. Ovid: Verwandlungen aus Liebe

Erotik. «Was uns erlaubt ist, stösst uns zurück. Das Verbotene reizt uns.»

Als Ovid stirbt, ist Jesus Anfang zwanzig und noch nicht öffentlich in Erscheinung getreten. Ovid hat keinen Schimmer davon, dass die ultimative Metamorphose, die göttliche Menschwerdung aus Liebe, im östlichen Teil des Römischen Reichs Wirklichkeit geworden ist.

Jesus wird die höchste Kunst der Liebe demonstrieren, eine Liebe, die sich nicht über das Begehren definiert, sondern sich im Selbst Verschenken verwirklicht. Wie die Götter in der Geschichte von Philemon und Baucis wird Jesus bei den meisten Menschen auf Ablehnung stossen – aber diejenigen, die ihm nachfolgen, in sein ewiges Reich der Liebe aufnehmen.

  1. Julia: Die verlorene Tochter

Als Tiberius die Alleinregierung antritt, ist er ein schlecht gelaunter Misanthrop. Bei den nächsten Kaisergattinnen häufen sich die Sexskandale. Die Ehefrau des körperbehinderten Claudius, Messalina, veranstaltet Gruppensexpartys und wetteifert mit den Huren der Stadt darum, wer innerhalb von 24 Stunden mit mehr Partnern schlafen kann. Claudius lässt sie schliesslich hinrichten. Seine nächste Frau Agrippina vergiftet ihn, um ihren Sohn Nero auf den Thron zu bringen, der wiederum seine Frau vorstösst, um die schöne Poppäa zu heiraten, die täglich in literweise Eselsmilch badet und schliesslich in hochschwangerem Zustand von Nero zu Tode getreten wird.

Im Hause Cäsar kämpft jeder gegen jeden. Der Clan der Julier-Claudier ist der maximal-dysfunktionale Gegenentwurf zur christlichen Gemeinschaft, wo jedes Mitglied nicht den eigenen Vorteil, sondern den anderer sucht. 

  1. Satyricon: Das grosse Fressen
  2. Pornokratie: Die grosse Sexschwemme

Die Römer waren sexverrückt. Seneca fand nichts Schändliches bei der nachgeburtlichen Tötung behinderter Kinder. Sie sei vernünftig.

  1. Brot und Spiele: Wir amüsieren uns zum Tode

Massenunterhaltung, Pantomime, Wagenrennen, tödliche Gladiatorenkämpfe.

  1. Spartakus: Das Grauen der Sklaverei

Es herrschte der blanke Sozialdarwinismus. Oben schlug unten, denn das galt als naturgewollt und göttergegeben.

Der wichtigste «Rohstoff», den die Römer aus den Provinzen abtransportierten, waren die Sklaven. Vielleicht ist der wichtigste Unterschied der vorchristlichen Welt gegenüber der christlichen: diese erschreckende Mitleidlosigkeit.

  1. Die römische Armee: Friedenspolizei und Killermaschine

Sich selbst hielten die Römer natürlich nicht für Unterdrücker, sondern für hochzivilisiert und hochanständig, nah an den Menschen und nah an den Göttern. Sie führten ihren Erfolg darauf zurück, dass sie sich mit ihrer Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit das Ansehen der Götter regelrecht verdient hätten. Der Dichter Ovid brachte in seiner «Liebeskunst» das römische Religionsverständnis auf den folgenden Punkt: «Vorteil bringt’s, dass es Götter gibt, darum lasst uns an sie glauben.»

Das Verhältnis zu den himmlischen Mächten war durch Geschäftsdenken geprägt. Man opferte ihnen, gab Bettlern Almosen, behandelte Sklaven mitunter auch nachsichtig, weil man sich davon göttlichen Segen erhoffte. Aus Angst, sich durch Missachtung den Zorn einer unbekannten Gottheit zuzuziehen, errichtete man in manchen Städten Altäre für solche anonymen Gottheiten.

56 BC: Während der Zeit, in der Cäsar massenhaft Gallier massakrierte, versuchte der Staatsmann Cicero zu ergründen, warum die Götter es besonders gut mit den Römern meinten: «Es ist wegen unserer Frömmigkeit und Religiosität und wegen unserer Einsicht darin, dass die Geschicke der Welt von göttlichen Kräften geleitet werden, dass wir mächtiger als alle anderen Länder und Völker geworden sind.»

  1. Jerusalem und Rom: Der Pakt mit dem Teufel

63 BC: Die Römer erobern Jerusalem. Konsterniert sind vor allem die Juden (Makkabäer). JHWH lässt den Frevler nicht von einem Blitz erschlagen und schickt keinen Messias, um ihn zu vertreiben. Der Gott der Juden bleibt auch passiv, als Pompeius zigtausende Juden versklavt und in alle Welt verkauft.

  1. Herodes: Der paranoide Heldensohn

Herodes folgt einem monströsen Egoismus. Glanzpunkt seiner Regierungszeit ist der neue Tempel von Jerusalem. Seine Gewaltexzesse lösen unter allen, die sich vor seiner Willkür fürchten, eine Massenflucht aus. Viele von ihnen warten in Ägypten auf die Nachricht seines Todes. Unter ihnen ist auch eine kleine Familie, die aus dem hohen Norden des Herodes-Reichs stammt: Maria, Josef und ihr neugeborener Sohn Jesus.

Jonathan Edwards: «Es war Gottes Wille, dass das Auftreten seines Sohns in der Welt in die Zeit des römischen Imperiums fallen sollte, der grössten und stärksten Monarchie und dem sichtbaren Reich des Satans. Indem der Gottessohn gegen Rom siegte, bezwang er den Satan da, wo er vermeintlich am stärksten war.»

Oder: Das Römische Reich ist auch der wirkmächtigste Hebel, wenn man die Welt verändern will.

Fragen zur Diskussion

1. Wie ist es möglich, dass eine solche brutale, perverse Regime so viel Macht gewann?

2. Wie konnten heidnische Philosophen, wie Vergil, eine so klare Vorstellung haben, wie der Erlöser sein sollte?

3. Warum lässt Gott die unzähligen Menschen der vorchristlichen Zeit in der Finsternis leben und sterben?

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