Jesus – eine Weltgeschichte VII

Gegenwind

«Ich schicke euch wie Schafe unter Wölfe», warnt er seine Jünger. «Glaubt nicht, dass ich für Frieden sorge. Ich bringe den Kampf.»

  1. Herr über die Naturgewalten: Die Stillung des Sturms . . . 
  2. Aufruhr in der Unterwelt: Die Heilung des Besessenen

Die Jünger fühlen sich obenauf. In einer kurzen Zeitspanne hat ihr Meister sich als Herr über das Wetter, die dämonische Unterwelt und sogar über Leben und Tod erwiesen. Jetzt scheint alles möglich. Wenn sogar der Teufel keine Chance hat, müssen sich die weltlichen Machthaber warm anziehen, auch der Kaiser in Rom. Ganz zu schweigen vom Viertelfürsten von Galiläa, dem Gernegross Herodes Antipas.

  1. Der Mann, der König sein wollte: Herodes Antipas

Johannes hinrichten zu lassen, wagt Herodes nicht. Die Gefahr einer Volksrevolte ist zu gross, und die Römer erwarten vom Viertelfürsten vor allem eins: Ruhe zu bewahren. Ausserdem ist Herodes Antipas inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass Johannes tatsächlich ein Mann Gottes ist. Einen solchen Menschen zu töten, würde JHWH herausfordern. Antipas ist religiös genug, um das nicht zu riskieren. Immer wieder besucht er Johannes in seiner Kerkerzelle und unterhält sich mit ihm. Währenddessen wartet seine Frau nur auf eine Gelegenheit, den Täufer ein für alle Mal mundtot zu machen.

Der Zimmermann aus Nazareth hat so gar nichts von einem Asketen an sich. Statt sich solidarisch mit Johannes zu verhalten und zu fasten, ist er für seinen Frohsinn bekannt.

Kein Jesus kommt mit einem Engelsheer herbeigeeilt, um Johannes zu retten oder ihn zumindest zu rächen. 

Die alte, ewig quälende Frage: Ist das gerecht? Und ist es fair, dass Jesus Wildfremden zu Hilfe kommt, aber seinen Wegbereiter Johannes im Stich lässt?

  1. Anti-Establishment-Feier: Die Speisung der Fünftausend

Wie anders sind im Vergleich dazu die Verhältnisse, die Jesus in seinem Umfeld schafft! Es herrscht eine selbstverständliche, lebensbejahende Ordnung. Die Jünger folgen Jesus nicht aus Zwang, sondern aus freiem Antrieb. Im Vordergrund stehen die Interessen der Mitmenschen. Jesus macht sie satt: körperlich, aber auch seelisch. Es gibt keine Opfer, keine Verlierer, nur Gewinner.

Jesus sieht, wie sich ihm die geplagten Gestalten erwartungsvoll nähern. Eine Armee der Hungerleider. Aber eben auch sehr zahlreich. Wenn Jesus wollte, könnte er aus ihnen eine Spontan-Armee schmieden. Zusammen könnte er mit ihnen zum Palast des Herodes ziehen. Die Zeloten aus der Umgebung würden sich bestimmt anschliessen. Es könnte der Anfang einer Revolution sein.

Jesus hält inne. Statt das Signal zum Aufbruch zu geben, erwidert er dem Jünger: «Dann gebt ihnen etwas zu essen.» Die Aufforderung ist in doppelter Hinsicht vielsagend. Sie entkräftet erstens den Vorwurf, Jesus würde nichts tun, um die elementaren Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Sein Verhalten zeigt zweitens auch, dass er seine Jünger einbezieht, wo es möglich ist.

Das Reich Gottes umfasst eben nicht nur die horizontale Ebene der Mitmenschlichkeit, sondern auch die vertikale der Gottesfürsorge. In der Agape-Ökonomie tritt Gott in die Vorleistung und setzt den Kreislauf der Liebe in Gang, oft ganz unspektakulär, bei Jesus aber mit übermenschlicher Machtdemonstration.

Mit der Massenspeisung erfüllt sich der Jubelruf, den Maria während der Schwangerschaft ausgestossen hatte: «Die Hungrigen macht er satt, aber die Reichen lässt er leer ausgehen.»

Wieder brandet Beifall auf. Wieder lässt er die Menschen gehen, ohne sich an ihre Spitze zu stellen. Die Menschen reagieren enttäuscht. Wenn Jesus der Messias ist, warum greift er dann nicht die Gelegenheit beim Schopf? Warum zaudert er?

  1. Schluss mit lustig: Die Pharisäer

«Richtet euch nach ihren Worten und tut alles, was sie euch sagen.» Wenn Jesus es damit hätte bewenden lassen, wäre ihm die Freundschaft der Pharisäer sicher gewesen. Doch Jesus schiebt einen Kommentar nach, der es in sich hat: «Nehmt euch nur bloss kein Beispiel an ihren Taten! Denn sie halten selbst nicht ein, was sie von anderen verlangen.»

Was Jesus an den Pharisäern kritisiert, sind nicht deren Prinzipien, sondern die fehlende Liebe bei der Umsetzung, ihr buchhaltermässiges Verhältnis zur Tora, ihre Selbstbezogenheit.

«Die Pharisäer leben enthaltsam und kennen keine Annehmlichkeiten», schrieb Josephus anerkennend über sie. «Sie glauben, dass die Seelen unsterblich sind und dass diese, je nachdem, ob ein Mensch tugendhaft oder lasterhaft gelebt hat, nach dem Tod Lohn oder Strafe erhalten.»

Sie errichteten zusätzliche Zäune um die Tora, um deren Einhaltung zu garantieren, und sahen bald den Wald vor lauter Zäunen nicht mehr.

Genau an dieser Stelle setzt Jesus an. Er macht deutlich, dass die göttlichen Gesetze kein Selbstzweck sind, sondern in der Wiederherstellung kaputter Menschen ihre Erfüllung finden. «Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat.»

Jesus reagiert darauf mit dem Kommentar: «Nicht, was zum Mund hineingeht, macht den Menschen unrein, sondern was aus dem Mund herauskommt.»

Die Pharisäer toben. Sie sind auf Reinheitsvorschriften fixiert, weil sie blind für die tatsächlichen Nöte der Menschen sind. Viel gefährlicher als unerlaubtes Essen sind nicht-koschere Worte und Gedanken: «Was … aus dem Mund herauskommt, das kommt aus dem Herzen und das sorgt für Unreinheit.»

In der Konfrontation von Jesus und den Pharisäern prallen auch zwei unterschiedliche Lebensmodelle aufeinander. Er ist ein Mann der Strasse, umgibt sich mit Schmuddelkindern, mit Aussenseitern und Outlaws.

Dass die Aktion auch als erotische Aufforderung interpretiert werden kann, ist der Prostituierten egal; Jesus offenbar auch. Jesus richtet die gefallene Frau auf, stellt sie als positives Beispiel dem lieblosen Pharisäer entgegen. Im Reich Gottes zählt eben nicht primär das Böse, das man vermeidet, sondern das Gute, das man tut.

Die Reinheitsfanatiker und die Lustsüchtigen sind gleichermassen unfrei, Sklaven ihrer Vorstellungen oder ihrer Triebe.

Die zugereisten Pharisäer kommen zu dem Schluss, dass Jesus mit dem Teufel im Bund steht. Wenn sich die Wunder schon nicht wegdiskutieren lassen, dann kann man wenigstens deren göttlichen Ursprung anzweifeln. Jesus ist ein dämonischer Verführer, heisst es plötzlich. Fall erledigt, aus ihrer Sicht.

Den Magie-Vorwurf werden auch in den folgenden Jahrhunderten manche der jüdischen Jesus-Kritiker erheben. Im Talmud wird behauptet, Jesus sei ein Zauberer gewesen, der dafür schliesslich hingerichtet worden sei.

  1. «Seine Brüder glaubten nicht an ihn»: Familienstreit um Jesus

Dass er Zauberei treibt, es mit der Sabbatruhe nicht genau nimmt, dass er sich von leichten Mädchen in aller Öffentlichkeit Fussmassagen geben lässt. Und dass er sich nicht mit den Römern anlegt, sondern mit rechtschaffenen Juden. Statt sich mit den Pharisäern zu verbünden, provoziert er sie. Und er beschmutzt die Familienehre. 

Jesus bleibt Jesus in Galiläa, kümmert sich um soziale Randgruppen, ist mal hier und mal dort und lässt scheinbar jede strategische Vernunft vermissen. Vielleicht genial, aber irre, denken die Brüder.

Wir sind nicht, von wem wir abstammen, sondern zu wem wir uns orientieren, lehrt Jesus. Beziehungen sind nicht schicksalhaft vorgegeben, sondern von uns in Freiheit zu gestalten.

  1. «Bist du der Richtige?» Der Täufer zweifelt an Jesus

Jesus ist ein Ikonoklast, ein Bilderstürmer. Nämlich einer, der die Bilder in den Köpfen der Menschen als selbstgemalte Illusionen entlarvt.

Die Johanness-Jünger sollen berichten, was sie gesehen haben. Dass Blinde sehen, dass Lahme gehen, dass Aussätzige rein werden, Tote auferstehen. Damit ist die Prophetie aus dem Buch Jesaja Wirklichkeit geworden. Johannes kann ganz beruhigt sein, sagt Jesus damit. Er ist der Messias.

Bald darauf verliert Johannes sein Leben. Die kommenden Ereignisse hätten seine Skepsis wohl nur noch verstärkt: Jesus lehnt es ab, sich nach dem Speisewunder zum Volkskönig ernennen zu lassen. Die Pharisäer attackieren ihn immer wütender. Jesus entzweit sich mit seiner Familie. Es geht eher abwärts als aufwärts.

Nach dreissig Jahren in der Anonymität und fast drei Jahren an der Öffentlichkeit fehlt vom Reich Gottes, wie es die Menschen erwartet haben, jede sichtbare Spur.

  1. Hauptsache Ruhe: Pontius Pilatus
  2. Der Pate von Jerusalem: Kaiphas

Der Hohepriester gehörte der Glaubensrichtung der Sadduzäer an. Sie glaubten an kein Leben nach dem Tod, an kein Jüngstes Gericht und überhaupt nur an die Vorschriften der Tora.

  1. Einbruch: Der sinkende Simon

Das Jahr 30 fängt nicht besonders verheissungsvoll an. Seit Jesus es abgelehnt hat, sich zum König krönen zu lassen, ist seine Anhängerschaft zusammengeschrumpft. Die Euphorie ist futsch, die so verheissungsvoll begonnene Bewegung zum Stillstand gekommen.

  1. Geistesblitz: «Du bist der Messias»

«Du bist der Sohn des lebendigen Gottes.» Was meint Simon damit? Er weiss noch nichts von der göttlichen Dreifaltigkeit und ahnt nicht, dass Jesus die zweite Person der Trinität ist.

Wie alle anderen Juden stellen sich die Jünger den Messias als Sieger-, nicht als Opfertypen vor.

  1. Gipfel der Gefühle: Die Verklärung

Erst kommt die persönliche Entscheidung, dann folgt die Theophanie, die Gotteserscheinung.

Die Szene verdeutlicht, dass im Retter Jesus das Gesetz und die Prophezeiungen erfüllt werden.

«Dies ist mein geliebter Sohn, über den ich mich von Herzen freue. Auf ihn sollt ihr hören.»

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