Ich habe wieder einmal die alten Schriften von C.S. Lewis hervorgeholt – und bin total davon begeistert:
« Unter allgemeiner Evolutionslehre verstehe ich die Auffassung, dass alle Entwicklung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen, von kleinen Anfängen zu grossartigen Ergebnissen, vom Rudimentären zum Komplexen geht. Es ist der Glaube des Menschen, dass unsere Moral aus primitiven Tabus herrührt, dass die Gefühle des Erwachsenen in den sexuellen Störungen seiner Kindheit ihren Ursprung haben, dass das Denken aus dem Instinkt, der Verstand aus der Materie, das Organische aus dem Anorganischen und der Kosmos aus dem Chaos entsteht.
Diese heute wohl am weitesten verbreitete Auffassung erscheint mir im höchsten Masse unlogisch, da der natürliche Ablauf, wie er hier geschildert wird, so gar nicht mit dem übereinstimmt, was wir in der Natur beobachten können. Sicher erinnern Sie sich an die alte Frage. was zuerst da war: die Henne oder das Ei. Die modernen Erkenntnisse beziehungsweise die allgemeine Evolutionslehre beruhen auf einer optischen Täuschung, weil sie ausschliesslich davon ausgehen, dass die Henne aus dem Ei kommt. Von Kindesbeinen an lehrt man uns zu beachten, dass die vollkommene Eiche aus einer kleinen Eichel wächst, und zu vergessen, dass die Eichel selbst von einer vollkommenen Eiche herabfiel. Man erinnert uns ständig daran, dass das erwachsene Wesen zunächst ein Embryo war, nie daran, dass der Embryo von zwei erwachsenen Wesen gezeugt wurde. Wir weisen gern darauf hin, dass die elektrische Lokomotive ein Nachkömmling der «Rocket» ist; aber ungleich seltener erinnern wir daran, dass die Dampflok nicht von einer einfacheren Maschine abstammt. sondern dass sie ihren Ursprung in etwas hat, das viel perfekter und komplizierter ist als sie selbst – dem genialen Hirn eines Menschen. Aus diesem Blickwinkel erweist sich die Logik und Eindeutigkeit, die die Lehre von der Evolution in den Augen der meisten Menschen zu haben scheint, als pure Halluzination.
Aufgrund dieser und ähnlicher Beobachtungen kommt man zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass alles andere wahrscheinlicher ist als die landläufige wissenschaftliche Kosmologie. Ich habe dieses Schiff nicht verlassen, weil die Poesie mich lockte, sondern weil ich erkannte, dass es untergehen wird. Jeder philosophische Idealismus oder Theismus musste zumindest etwas weniger falsch sein. Und es zeigte sich, dass der Idealismus, wenn man ihn ernst nahm, verkappter Theismus war. Und wenn man den Theismus annahm, musste man sich auch dem Anspruch Christi stellen, demgegenüber man – so empfand ich es jedenfalls – keine neutrale Position beziehen kann. Entweder er war ein Schwachsinniger, oder er war Gott. Und er war kein Schwachsinniger.
In der Schule habe ich gelernt, dass man nach einer Rechenoperation «die Probe machen» soll. Die Probe oder die Bestätigung meiner christlichen Antwort auf das kosmische Ergebnis sieht folgendermassen aus: Wenn ich die Theologie als wahr akzeptiere, habe ich sicher hier und da Schwierigkeiten, sie mit einzelnen Wahrheiten in Einklang zu bringen, die aus der wissenschaftlich abgeleiteten mythischen Kosmologie entstammen. Aber als Ganzes lässt sich die Wissenschaft bestens in die Theologie einordnen. Gehe ich davon aus, dass der Verstand vor der Materie existierte und das Licht dieses Ur-Verstandes unseren begrenzten Verstand erleuchtet, so kann ich einsehen, dass die Menschen durch Beobachtungen und Rückschlüsse zu einer Vielzahl von Erkenntnissen über ihr Universum kommen können. Wenn ich aber die wissenschaftliche Kosmologie für bare Münze nehme, kann ich weder den christlichen Glauben noch die Wissenschaft selbst irgendwo einordnen.
Wenn unser Verstand völlig von unseren Gehirnzellen abhängt und diese von biochemischen Vorgängen und die biochemischen Vorgänge (auf lange Sicht) vom ziellosen Fluss der Atome, dann kann ich nicht verstehen, warum die Gedanken eines solchen Verstandes mehr Bedeutung haben sollten als das Rauschen des Windes in den Bäumen. Und das ist für mich die entscheidende Frage. So unterscheide ich zwischen Wachen und Träumen. Wenn ich wach bin, kann ich, bis zu einem gewissen Grade, meine Träume erklären und erforschen. Der Drache, der mich letzte Nacht verfolgte, lässt sich in meine wache Welt einordnen. Ich weiss, dass es Träume gibt; ich weiss, dass ich gestern abend etwas Schwerverdauliches gegessen habe; ich weiss, dass ein Mensch, der so viel liest wie ich, unter Umständen auch von Drachen träumen kann. Aber während des Alptraums war ich nicht in der Lage, die Erfahrungen aus meiner wachen Welt einzuordnen. Die Welt, die ich wachend erlebe, ist deshalb realer, weil in ihr auch unsere Traumwelt Platz hat; die Traumwelt ist weniger wirklich, weil unsere wache Welt in ihr keinen Platz hat.
Aus diesem Grund bin ich sicher, dass ich vom Träumen zum Wachsein übergewechselt bin, als ich vom wissenschaftlichen Standpunkt zum theologischen überwechselte. In die christliche Theologie lassen sich sowohl die Wissenschaft als auch Kunst, Moral und primitivere Religionen einordnen. Die wissenschaftliche Sicht kann nicht eines dieser Themen einordnen, noch nicht einmal die Wissenschaft selbst. Ich glaube an Christus, so wie ich glaube, dass die Sonne aufgegangen ist, nicht nur, weil ich sie sehe, sondern weil ich durch sie alles andere sehen kann. »
C.S. Lewis aus “Ist Theologie Dichtung”, 1944, Brunnen Verlag