Jesus – eine Weltgeschichte V

Zweiter Teil: Retter

Tausend Tage für die Ewigkeit

Es gibt viele Zeugen, die seine Vorträge auswendig lernen und bei denen sich die Wunder tief ins Gedächtnis eingraben.

  1. Jesus mit 30: Eine Beschreibung
  2. Missionsbeginn: Die Taufe

Für das Reich Gottes verzichtet er auf alles, was Menschen damals wichtig war: Status, Haus und Einkommen, Familie. Nachkommen.

Der Täufer kleidet sich als wilder Asket. Jesus erscheint in galiläischer Ziviltracht.

Er sucht von Anfang an die Intimität mit den gewöhnlichen Menschen, nicht die ehrfurchtgebietende Distanz.

  1. Unanständige Angebote: Die Versuchung

Erfolgreiche Menschen zeichnen sich nicht selten dadurch aus. dass sie solche krummen Touren mitgemacht haben, auf dem Schnellweg an die Spitze die eine oder andere verbotene Abkürzung genommen haben. Sie haben sich den Ring der Macht übergestreift. Nur vorübergehend, haben sie sich eingeredet. Doch dann gewöhnen sie sich an das Privileg, anderen ihren Willen aufzwingen zu können. Allmählich wird die Machtausübung zum Selbstzweck, Ego Ausdehnung zum Lebensprinzip.

Mit der Wüstenzeit unterzieht sich Jesus selbst einem Extremhärtetest.

Der Teufel hat Macht. Aber es ist begrenzte und befristete Macht.

Die Menschwerdung Jesu ist ja bereits ein Machtverzicht um der Liebe willen.

Damit stellt sich der Teufel in eine Reihe moderner Glaubensskeptiker, die sich erst auf Jesus einlassen wollen, wenn er ihnen unumstössliche Beweise liefert.

Der Teufel gibt sich als freundlicher Berater. Er wählt die drei Stellen, an denen Menschen am verwundbarsten sind:

Den Hang zur Bequemlichkeit.

Das Bedürfnis nach Anerkennung und Ruhm.

Den Machtwillen.

Von jetzt an wird er Menschen als seine Sprachrohre und Erfüllungsgehilfen benutzen.

Warum machst du es dir und uns so schwer. Jesus? Gibt es keinen einfacheren Weg zum Guten?

Bei Jesus wird deutlich, was die moderne Psychologie herausgefunden hat: Je grösser bei einem Menschen die Empathie ausgeprägt ist, desto geringer ist sein Bedürfnis nach äusserer Bestätigung.

  1. Rückkehr nach Nazareth: Der Fremde in der eigenen Heimat

«Reich Gottes» – das bedeutet für sie nichts anderes als die göttliche Herrschaft über die Welt und die Ablösung des verbrecherischen römischen Regimes.

Ich bin der Messias.

Aber Menschen am Sabbat töten, das ist für manche offenbar kein Problem.

Von nun an meidet Jesus seinen Heimatort.

  1. Mannschaftsaufstellung: Jesus beruft seine Jünger

Schnell wird deutlich, dass Jesus mehr als nur eine neue Lehre im Sinn hat. Er will einen Aufbruch anstossen und eine Bewegung initiieren, die lokal beginnt und global endet. Um diese Dynamik auszulösen, braucht er Mitstreiter. Also widmet er sich in den nächsten drei Jahren intensiv dem Teambuilding.

Zu den verbreiteten Fehlurteilen über Jesus gehört die Auffassung, er sei mit Weltverbesserungsideen angetreten, habe die Massen für den neuen Glauben gewinnen wollen, sei aber schliesslich an mangelnder Resonanz gescheitert.

Jesus wusste nämlich, was die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Massenbewegung ist. Nicht eine grosse Zahl aufgeputschter Fans. Sondern die wenigen Richtigen, die es ernst meinen.

Gott agiert, der Mensch reagiert.

Bei Jesus geht es auch um ein «Gelobtes Land», er spricht vom «Reich Gottes» oder dem «Königreich der Himmel», einem physikalisch nicht definierbaren Raum der Liebe, in dem Gott und Menschen miteinander in Beziehung stehen. 

An der bunt zusammengewürfelten Männertruppe fällt auf, dass sie für die grosse Aufgabe völlig unqualifiziert scheinen.

Die Männer, die Jesus um sich scharte, waren idealistisch, opferbereit, gesellig.

Es ist bezeichnend, dass sich unter den Jüngern kein einziger Politiker und Philosoph findet.

Jesus wählte also die optimale Zahl von Menschen aus, um die Welt mit einer sozialen Epidemie zu infizieren: einer Bewegung, die sich rasch ausbreitet.

Die Welt der Jesus-Bewegung waren die staubigen Wege, die blühenden Felder, vor allem aber die Gegenwart lärmender Kinder, schmutziger Bettler, neugieriger Dorfbewohner – das raue Alltagsleben eben.

Wer Jesus kennenlernen will, muss bereit sein, mit ihm zu leben. Eine Begegnung aus der Distanz heraus ist nicht möglich.

  1. Kinderfreund, Frauenversteher, Menschenliebhaber: Jesus unter Leuten

Jesus ist, wie ich im nächsten Abschnitt erläutern werde, ein Naturbursche, der die einsamen Momente geniesst. Aber mehr noch als das solitäre Naturerlebnis schätzt Jesus die Begegnung mit den Menschen. Er ist genauso volksnah, wie er erdverbunden ist.

Jesus bewertet Menschen nicht nach deren Gehorsamsleistungen, nicht nach deren Erkenntnisvermögen, sondern nach deren Fähigkeit zur Hingabe.

Jesus ist ein Geniesser.

Jesus hatte keine Berührungsängste, keine Probleme mit körperlicher Nähe.

Jesus bewegt sich am unteren Ende der damaligen Hierarchie.

Unerhört fanden strenggläubige Juden seinen lockeren Umgang mit Zöllnern. … Dazu kam noch ihre schamlose Kollaboration mit Ausbeutern wie Herodes Antipas oder, in Galiläa, mit den Römern. Dass Jesus sich in deren Häuser einladen liess, war ein Affront gegen die guten Sitten. Und allem Anschein nach auch gegen den ersten Psalm. Da steht schliesslich: «Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen.»

Hätte Jesus nicht wenigstens abwarten müssen, bis die Sünder ihr Leben nachweislich gebessert hatten? Besondere Missbilligung rief Jesus hervor, wenn er sich mit Prostituierten unterhielt. In einem Fall, der sich kurz vor seiner Passion ereignete, liess er sogar zu, dass eine Hure ihm die Füsse massierte, streichelte, küsste. Ein solcher Vorgang würde noch heute zu einem riesigen Skandal führen.

Das gängige Vorurteil der Weisen über Frauen lautete: Sie seien zu emotional. Mittlerweile weiss man um die Weisheit der Gefühle und schätzt die weibliche Intuition entsprechend hoch. Jesus war seiner Zeit in dieser Hinsicht um zweitausend Jahre voraus.

Mit anderen Worten: Frauen waren die Mäzeninnen der Jesus-Bewegung, die finanziellen Unterstützer, die Fundraiser.

Gott will sich nicht nur mit den Juden vermählen.

Jesus stellt sich mit seinem Angebot auf eine Stufe mit Gott. Ausserdem macht er deutlich: Das Erlösungswerk, das die Propheten vorhergesagt haben, vollzieht sich durch ihn. 

«Ich bin es.» Es ist das erste Mal, dass Jesus sich als Messias vorstellt.

Eine Samariterin ist die erste Person, der gegenüber Jesus sich als Christus «outet». Später wird ein Verbrecher der erste Mensch sein, dem Jesus das Paradies verspricht. Jesus überlässt die vermeintlich dicken Fische sich selbst und angelt ganz an den Rändern der Gesellschaft.

  1. Naturbursche und Gottesmann: Jesus alleine

Jesus war ein passionierter Geher.

Er ist das, was er die Menschen machen möchte: frei.

Wenn Jesus ohnehin in innigster Beziehung zu Gott, dem Vater, steht, ja sogar als zweite Person der Trinität mit ihm symbiotisch verbunden ist, warum ist da verbale Kommunikation überhaupt nötig? Und warum nimmt das Gebet im Leben von Jesus sogar einen so grossen Raum ein? Die Evangelisten berichten, dass Jesus sich oft zum Gebet zurückzieht und sogar ganze Nächte durchbetet.

Jesus predigt nicht nur, dass Gottes- und Menschenliebe zueinander gehören und aufeinander folgen. Er macht auch vor, dass die kontinuierliche Kommunikation mit Gott die beste Grundlage für eine gute Kommunikation mit Menschen ist.

  1. Meisterrhetoriker und Geschichtenerzähler: Jesus als Redner

Jesus liess sich weder von Aristoteles noch von Cicero anleiten, sondern sein Redetalent rein autodidaktisch entwickelte. Dennoch brachte er es in den Bereichen Ethos, Pathos und Logos zu einer nie vorher und nie wieder erreichten Meisterschaft.

Jesus spricht mit Vollmacht («Exousia» «Authority»)

Jesus hat keine nennenswerte Bildung genossen.

Zuerst tadeln sie den Täufer Johannes für seine Strenge und dann ihn, Jesus, für seine Fröhlichkeit. 

Die Pharisäer, sagt Jesus, wissen nur, was sie nicht wollen, aber nicht, wohin die Reise geht. Ihre abgenutzten Weinschläuche, sagt Jesus an anderer Stelle, eignen sich nicht für den neuen edlen Tropfen, den er ausgiesst. Es müssen neue Behälter her.

Viele der Jesus-Sprachbilder haben heute sprichwörtlichen Charakter. «Auf Sand bauen», «neuen Wein in alten Schläuche giessen», «die Extrameile gehen», «Mücken sieben und Kamele verschlucken», «sein Licht nicht unter den Scheffel stellen», «Perlen vor die Säue werfen» – das sind Formulierungen, auf die ein Cicero neidisch gewesen wäre.

Von Jesus sind fast so viele Gleichnisse überliefert wie Wundertaten, ungefähr dreissig, und etwa zwei Drittel davon sind im Spannungsfeld «Wirtschaft und Soziales» angesiedelt.

Menschen sind besonders empfänglich für Gleichnisse, weil unsere Gehirne dafür geschaffen sind, nach Analogien zu suchen. Wir erschliessen uns die Wirklichkeit dadurch, dass wir vergleichen und Rückschlüsse vom einen aufs andere ziehen.

Gäbe es ein von Jesus selbst verfasstes Evangelium, würde es heute vermutlich als Text angebetet werden. Aber genau das will Jesus ja nicht. Er will Anstösse liefern, neue Denkprozesse auslösen, die menschliche Kreativität anstacheln.

  1. Zeichen der Macht: Warum die Wunder so wichtig sind

Jesaja hatte Merkmale für den Anbruch der Messias-Zeit aufgelistet: die Heilung von Blinden, Tauben, Stummen und Lahmen. 

Ein Wundertäter vom selben Kaliber wie Jesus? Gab es nicht, hatte es nicht gegeben, würde es nie mehr geben.

Markus. Matthäus und Lukas benutzen lieber das Wort «dynamis», übersetzt: «Macht(zeichen)». Für die drei Evangelisten demonstrieren die Wunder die übernatürliche Kraft, die von Jesus aus geht. Johannes spricht dagegen von «semeion», Zeichen. Er versteht die Wunder als Hinweise auf die göttliche Herrlichkeit, die Jesus verkörpert.

Jesus agiert direkt und aus eigener Autorität. Dass seine vielen Heilungen echt waren, bestritten nicht einmal seine Gegner, nur witterten sie okkulte Machenschaften dahinter.

  1. Freudenspender: Die Hochzeitsparty von Kana

Wenn es etwas gibt, das allen anerkannten israelitischen Propheten bis dahin gefehlt hat, ist es unbeschwerte Heiterkeit. Ihre Botschaft ist zu ernst für Spasseinlagen. Denn darin sind sich alle Gottesboten einig: Wenn Gott endlich eingreift, wird es zunächst bitterernst.

Und bei Jesus? Er besucht eine Hochzeit. Jesus feiert bestimmt kräftig mit.

In der nahöstlichen Kultur ist ein Nein noch lange kein Nein, sondern nur der Beginn einer Verhandlung.

Wie bei den meisten seiner Wunder handelt er nicht aus eigenem Antrieb, sondern reagiert auf eine Bitte. Dabei ist der Glaube nicht die Folge von Wunderzeichen, sondern deren Voraussetzung.

Der Messias ist nicht gekommen, die Korsette noch enger zu schnüren, sondern die Menschen zur Freude zu befreien.

Was Jesus vor allem anderen auszeichnet, ist seine extravagante Grosszügigkeit. Er kleckert nicht, er kippt in grosser Menge nach. Mit der Party in Kana begründet Jesus seinen Ruf als geselliger, gutgelaunter, genuss- freudiger Gottesmann. Seine Gegner werden ihn deshalb als «Fresser» und «Säufer» diffamieren. Sie verkennen, dass jede echte Gottesbeziehung nicht Genussminderung zur Folge hat, sondern Daseinssteigerung. Schöner, fröhlicher, herzerwärmender… … so heisst die Richtung, in die Jesus zeigt.

Aber «JHWH rettet» schimpft und straft nicht. Er lädt ein zum fröhlichen Fest.

  1. Heiler: Jesus macht gesund

Mit einem Wein-Wunder etabliert sich Jesus als einer, der Naturgesetze aufheben kann. Mit einem Brot-Wunder, von dem später noch die Rede sein wird, feiert er seinen grössten öffentlichen Triumph. Beide Wunder sind von der «Nice to have»-Sorte: nicht überlebensnotwendig für die Betroffenen, aber bedeutungsschwer und spektakulär.

Jesus tritt fast nie aus eigenem Antrieb als Wundertäter auf. Er handelt, wenn er darum gebeten wird.

Nichts schätzt Jesus bei Menschen so sehr wie diese vertrauensvolle Hoffnung.

Jesus demonstriert auf diese Weise, dass die gravierendsten Verkrümmungen nicht aussen, sondern innen liegen, dass alle Menschen von vergangenen Fehlern und angehäufter Schuld blockiert werden – in der Beziehung zueinander und zu Gott. 

So wenig er von einem Naturgesetz daran gehindert wird, zu heilen, wen er will, so wenig hindern ihn irgendwelche geistlichen Gesetzmässigkeiten daran, Schuld zu erlassen, wem er will.

Das Reich Gottes ist da, und ich bin der neue König.

Jesus setzt genau die Zeichen, die Jesaja für den Beginn der neuen Zeit vorausgesagt hatte: Lähme gehen. Stumme sprechen. Taube hören. Blinde sehen.

Jesus lässt die Aussätzigen nicht nur zu sich, er berührt sie sogar.

Ihm missfiel die Massenhysterie.

Mit den Wundern bezeugte Jesus das, was er in seinen Predigten verkündigte: Dass er für diese Welt da war, aber nicht von dieser Welt war. 

Er lässt seinen Worten nicht Taten folgen, sondern stellt seinen Worten umgekehrt Taten voran.

  1. Totenauferwecker: Jesus macht lebendig

Dreimal bringt er Tote zurück ins Leben.

Bei seiner Wundertätigkeit handelt es sich nicht um das Anzapfen irgendwelcher okkulter Quellen, sondern um Energietransfers von ihm, dem mit dem Heiligen Geist gefüllten Gottessohn, zu den Menschen. Jede Heilung ist für ihn ein Kraftakt. Er hilft den Menschen nicht nach dem Giesskannenprinzip, lässt nicht einfach seine Aura wundersam wirken. Seine Wundertaten sind immer Investitionen und Geschenke, die nicht der anonymen Masse gelten, sondern den Einzelnen.

Beim Abwischen von Tränen fragt Jesus nicht nach der propagandistischen Verwertbarkeit.

Bei Jesus gelten andere Gesetzmässigkeiten als bei der Tora.

Seneca: «Am mächtigsten ist derjenige, der Macht über sich selbst hat.»

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